Lorning
Musik aus den Schatten: Wenn Isolation klingtEin Porträt über das Projekt „LORNING“, seinen Schöpfer Christopher Heinze, die Zusammenarbeit mit Action Film, das Label Danse Macabre und die dunkle Schönheit des Abgrunds.
Ein Porträt über das Projekt „LORNING“, seinen Schöpfer Christopher Heinze, die Zusammenarbeit mit Action Film, das Label Danse Macabre und die dunkle Schönheit des Abgrunds.
Berlin. Leipzig. Potsdam. Dunkle Gassen. Flackerndes Licht. Eine Gestalt, die durch leere Straßen zieht – verloren oder suchend? Vielleicht beides. Aus dieser Stimmung wächst ein Sound, der sich nicht anbiedert, nicht erklärt, sondern schlicht da ist. Dicht. Ehrlich. Düster. LORNING.
Lorning – ein Name wie ein Flüstern, wie ein Echo aus einer Zeit, in der Musik noch mehr war als Algorithmus und Skip-Button. LORNING ist eine Erscheinung. Und wie jede Erscheinung bleibt auch diese schwer greifbar. Gerade deshalb bleibt sie haften. In den Gehörgängen, im Bauchgefühl, im Hinterkopf.
Christopher Heinze, lorning
Die Geburt von LORNING – Von Leipzig in die Tiefe
Im Zentrum dieser Erscheinung: Christopher Heinze, ein Leipziger Musiker, der unter anderem als Schlagzeuger bei Die Art, Beringsee, Goldeck, Dividing Lines und den Russian Doctors aktiv war. Eine Szenegröße, ohne Allüren, dafür mit dem Gespür für das, was zwischen den Tönen passiert.
Mit LORNING hat er sich neu erfunden – oder besser gesagt: seine innersten Räume nach außen gestülpt. Räume, in denen Synthesizer atmen, Bassläufe kratzen, Stimmen flüstern und schreien. Räume, in denen NDW auf Postpunk trifft, Elektro-Punk mit Industrial flirtet, während sich über allem ein Hauch EBM legt. Wer LORNING hört, hört nicht nur Musik – er spürt Landschaften.
Cover der Single „secret smile“, lorning
„Secret Smile“ – Ein geheimes Lächeln im Sturz
Die erste Single trägt den Titel „Secret Smile“ – ein Satz, so sanft wie unheimlich. Als wäre da ein letzter Rest Hoffnung, der sich gegen das Dröhnen der Welt behauptet. Die Songs erzählen von Isolation, innerer Zerrissenheit, manischer Ekstase und dieser gewissen Verlorenheit, die sich manchmal wie Zuhause anfühlt. Es ist keine Pose, kein Stilwillen – sondern der Soundtrack eines Lebensgefühls.
Ein zentrales Motiv: der Fall in die Leere. Und dennoch ist da dieses Lächeln, das bleibt. Verstörend und tröstlich zugleich. Fast wie eine Einladung: Folge mir in die Dunkelheit. Es wird nicht leicht. Aber es wird ehrlich.
Isolation – Das Video, das nicht loslässt
Besonders eindrücklich zeigt sich das in der Zusammenarbeit mit dem Berliner Regisseur Emil Schwarz von Action Film, der für LORNING bislang zwei Musikvideos realisierte. Sein filmisches Gespür trifft auf Heinzes Klanglandschaften – und es entsteht etwas, das in der Szene selten ist: ein visuelles Pendant, das nicht erklärt, sondern ergänzt. Nicht illustriert, sondern weiterträgt.
Im Video zur Single „Isolation“ sehen wir eine urbane Dystopie – Berlin, kalt, grau, gleichgültig. Doch da ist eine Figur, deren Geschichte sich nicht sofort erschließt. Ihr Gang ist ungewöhnlich, ihre Bewegungen sind Ausdruck eines inneren Kampfs, einer ständigen Balance zwischen Schmerz und Selbstermächtigung. Erst spät begreift man, was das Auge nicht sofort erkennt. Und genau das ist die Stärke: die langsame Enthüllung einer Wahrheit, die berührt, ohne Mitleid zu inszenieren.
Die Isolation ist hier nicht bloß ein Zustand – sie ist ein Charakter. Und LORNING ihr Erzähler.
Von dunklen Wurzeln: Ein Klang wie kalter Rauch
Musikalisch bewegt sich LORNING in einem Feld, das heute nur noch wenige betreten – nicht, weil es nicht existiert, sondern weil es Mut braucht, sich in dieser Dunkelheit nicht zu verlieren. Es sind nicht die 80er selbst, die hier zitiert werden. Es ist das Gefühl, das sie hinterlassen haben.
NDW, Darkwave, Postpunk, EBM – Namen, die heute oft als Retro-Referenz missbraucht werden, dienen LORNING als Startpunkte. Doch was daraus wächst, ist etwas Eigenes. Es ist kein Revival. Es ist Rückbesinnung.
Und es ist tief. Sehr tief.
Das Label: Danse Macabre – Eine Familie aus Schatten
Dass Danse Macabre Records dieses Projekt unter seine Fittiche genommen hat, überrascht Kenner der Szene kaum. Das in Potsdam ansässige Label ist seit 1989 eine feste Größe in der deutschen Dark-Wave- und Gothic-Landschaft. Bands wie Das Ich haben hier ihre ersten Veröffentlichungen gefeiert. Es ist ein Label, das nicht auf Hits wartet, sondern auf Haltung.
Mit dem Leitspruch „darkwave & gothic entertainment since 1989“ wird hier nicht nur geworben, sondern gelebt. Und LORNING passt genau in dieses Selbstverständnis: kompromisslos, künstlerisch, abgründig.
Die Szene lebt – Kollaborationen und Verbindungen
LORNING ist kein Soloprojekt im luftleeren Raum. Es lebt von Verbindungen, von musikalischen Freundschaften, die dem Ganzen Tiefe geben. Da ist zum Beispiel Thomas Gumprecht, ein Musiker aus dem Umfeld der legendären DarkPunk-Band Die Zucht und heutiges Mitglied von Die Art.
Und da ist Rajko Gohlke, der den Bass auf „Secret Smile“ eingespielt hat. Ein Name, den man mit Knorkator, Think About Mutation oder The Art of the Legendary Tishvaisings verbindet – und der hier seine dunklere Seite zeigt. Gemeinsam mit Heinze entsteht so ein Klangkörper, der nicht glatt ist, sondern voller Kanten. Und genau das ist seine Schönheit.
Literatur und Klang – Der Germanist hinter dem Projekt
Nicht zu überhören: LORNING ist durchdacht. Nicht nur musikalisch, sondern auch textlich. Heinze ist studierter Germanist, und das merkt man jeder Zeile an. Die Texte sind keine Reime auf Schmerz – sie sind Miniaturen, literarische Fragmente, die sich in das Klangbild einweben wie Tinte auf nassem Papier.
Besonders das Album „Other Void Other Rooms“ zeigt das. Es beschäftigt sich mit Depression, Resignation, Träumen – aber auch mit Hoffnung. Ein Album wie ein dunkler Flur, durch den ab und zu ein Lichtschein fällt. Kurz. Flüchtig. Aber da.
Ein neues ästhetisches Narrativ
In einer Zeit, in der viele Musikprojekte auf Likes, Loops
und Trends setzen, ist LORNING ein radikaler Gegenentwurf – entschleunigt, konzeptionell, tief. Es ist eine Musik, die sich nicht sofort erklärt. Die Zeit braucht – und diese Zeit einfordert. Das hat nicht nur mit dem musikalischen Material zu tun, sondern mit einer übergeordneten Haltung: Kunst darf wieder schwer sein. Kunst darf herausfordern. Und: Kunst darf ein Rätsel bleiben.
Das visuelle Konzept – entwickelt in enger Zusammenarbeit mit Emil Schwarz (Action Film) – folgt dieser Idee auf kongeniale Weise. Die Ästhetik der Videos und Bilder lehnt sich nicht an das Gewohnte an, sie irritiert, sie verschiebt. Berlin wird zur Bühne einer inneren Verlorenheit, die mehr erzählt über den Zustand der Welt als jede politische Analyse.
Gerade „Isolation“ zeigt exemplarisch, wie das visuelle Erzählen bei LORNING funktioniert. Es geht nicht darum, ein Musikstück zu bebildern. Es geht darum, den Raum hinter der Musik zu öffnen. Ein Raum, der fremd wirkt, aber irgendwie vertraut. Wie eine Erinnerung, die man vergessen wollte.
Der Mensch hinter LORNING: Christopher Heinze
Dass all das nicht kalkuliert, sondern gewachsen ist, liegt an der Biografie von Christopher Heinze selbst. Als Musiker mit jahrzehntelanger Szene-Erfahrung weiß er, wie sich Klang verändert – nicht nur technisch, sondern emotional. Seine Reise von den Drums hin zu Synthesizern und Vocals ist keine Flucht, sondern ein Fortschreiten. Vom Rhythmus zur Fläche, vom Takt zur Textur.
Heinze bleibt auch hier hinter der Figur LORNING präsent – als jemand, der sich selbst nicht ins Zentrum rückt, sondern das Kunstwerk. Und doch liegt in allem eine tiefe persönliche Handschrift. Eine Handschrift, die nicht schreit, sondern sich in Schichten aufbaut. Wie Staub auf einer Erinnerung.
Wer LORNING hört, hört mit anderen Ohren
Man kann LORNING nicht nebenbei hören. Es funktioniert nicht über Spotify-Algorithmen oder TikTok-Clips. Man muss sich einlassen – auf den Sound, die Texte, die Bilder. Und auf das Gefühl, dass da jemand spricht, der nichts verkaufen will. Sondern etwas mitteilen.
Vielleicht ist genau das die stärkste Qualität von LORNING: seine stille Dringlichkeit. Die Musik bleibt nach dem Hören nicht nur im Ohr – sie bleibt im Raum. Und manchmal auch in der Nacht.
Eine Szene, die atmet – trotz der Stille
LORNING ist auch ein Beweis dafür, dass die alternative Musikszene in Deutschland – trotz aller digitalen Glättung – lebendig ist. Dass sie sich wandeln kann, ohne sich zu verraten. Dass es neue Wege gibt, ohne sich von den alten loszusagen.
Die Community, die sich um LORNING bildet, ist klein, aber aufmerksam. Es sind Hörer:innen, die sich nicht scheuen, in Texte hineinzulesen. Die das Unausgesprochene schätzen. Die das Düstere nicht meiden, sondern darin eine Form von Wahrhaftigkeit erkennen.
Das, was bleibt
Was also bleibt, wenn der letzte Ton verklungen ist, wenn das Bild ausgeblendet, der Bildschirm schwarz ist? Es bleibt eine Ahnung. Eine Ahnung davon, dass in all der Dunkelheit auch etwas Schönes wohnt. Dass in der Isolation nicht nur Schmerz, sondern auch Erkenntnis liegt. Und dass Musik mehr sein kann als Unterhaltung – nämlich eine Form der Erinnerung. Oder der Rettung.
LORNING ist keine Band. LORNING ist ein Echo. Ein Flüstern in der Leere. Ein geheimer Soundtrack für alle, die zwischen den Tönen leben.
LORNING hören, sehen, erleben:
🌐 offizielle Website von Lorning: https://www.lorning.de
📀 Lorning auf Bandcamp: https://lorning.bandcamp.com
📹 Lorning auf YouTube: https://www.youtube.com/@LORNING_OFFICIAL
📸 Lorning Instagram: https://www.instagram.com/lorning_official/
🖤 LORNING ist für die, die fallen – und dabei flüstern.