
Kling und Klang
Disc Jockey Team Berlin – Ein Porträt über Leo Lingus und TJ und warum Musik bewegte Bilder braucht.
Morgens in Nordberlin: Ein Duo nimmt Anlauf
Es ist noch früh, als die beiden in die Sonne blinzeln. Ein Samstag im Norden Berlins, der Asphalt noch kühl, aus den Fenstern weht der Duft nach Kaffee und frischer Wäsche. Leo Lingus und TJ lehnen an einem Geländer, das nirgendwohin führt, und lachen über einen Witz, der zu schnell gesprochen wurde, um ihn zu behalten. Man ahnt sofort: Hier wächst etwas, das nicht geplant wurde und gerade deshalb hält. Der Stadtteil, in dem sie begonnen haben aufzulegen, hat Risse und Charme. Er hat die Art von Zwischenräumen, in denen sich eine Freundesgruppe in ein Kollektiv verwandeln kann—und zwei Menschen in ein Duo, das irgendwann einen Namen findet, der so schlicht wie trotzig klingt: Kling und Klang.
Freundesgruppe wird Kollektiv: Anfänge seit 2018
Von hier aus lässt sich ihre Geschichte erzählen, ohne Stationstafeln und ohne Termine. Seit 2018, sagen sie, seien sie zusammen unterwegs—erst in Kellern, dann in Höfen, schließlich in Räumen, die man Club nennt und die doch immer auch Versprechen sind. Mit ihnen wächst ein Kreis von Mitstreiterinnen und Mitstreitern, der sich „Pfandidos“ nennt, zunächst mehr Running Gag als Struktur, dann ein eigener Puls im Wochenende der Stadt. Wer den beiden begegnet, lernt rasch, dass sie weniger an „Karriere“ als an Stimmung glauben: an die Temperatur im Raum, an die Gesichter kurz vor dem Drop, an die ganz kleinen Handbewegungen, die signalisieren, dass die Musik jetzt etwas vorhat und die Menge besser mithilft.
Der Sound: Schnell, schillernd, ohne Eile
Der Sound ist schnell, aber nicht gehetzt. Er ist eine Abkürzung in die Erinnerung: Trance, Hardtechno, Hardcore, Makina—Worte, die in ihrer Strenge wenig von dem einfangen, was passiert, wenn die beiden ein Mikro greifen und eine Melodie mit einem Augenzwinkern auf Wolke Sieben heben. Manchmal klingt es nach Kirmes in Neon, manchmal nach Flutlicht auf nassem Beton. Vieles sind Edits, die zum vertrauten Refrain ein paar Grad Übermut hinzufügen. Nicht Ironie, eher Sorglosigkeit mit Timing.
Eine Kamera, die nicht stört: Beginn einer Wegbegleitung (seit 2020)
Irgendwann, kurz nach der Gründung, tritt eine weitere Konstante in ihr Leben: eine Kamera, die nicht stört. Es ist die Art Kamera, die den Raum liest, bevor sie aufnimmt, die den Ton der Nacht respektiert und sich dem Humor der beiden nicht entgegenstellt. Aus diesem Blick wächst ein Fundus an Bildern, Clips, kleinen Filmen, die nicht erklären, sondern zeigen: wie ein Abend beginnt, wie er kippt, wie er später in Erinnerung aussehen wird. Es ist eine Nähe ohne Besitzen: Wegbegleitung als Praxis. Dass diese kontinuierliche Begleitung 2020 begonnen hat, merkt man an der Sorgfalt, mit der die Bildsprache den Tonfall der beiden aufgreift, ihn aber nicht imitiert. Man spürt eine Partnerschaft, die auf Vertrauen beruht—ein gemeinsamer Instinkt dafür, wann man aufdreht und wann man stehen lässt.
F90 als Bühne: Wenn Merch zur Geschichte wird
Diese Zusammenarbeit hat schon früh eigene Kapitel hervorgebracht. Die F90-Shirts zum Beispiel, eine Kollektion, die so viel Pop wie Parodie ist, so sehr Fanartikel wie Kostümteil. In den Clips dazu bewegt sich das Duo mühelos zwischen Pose und Pointe: Die Kamera fängt den Stoff ein, aber auch das Kichern zwischen den Takes, das kollektive „Noch einmal“ ohne Augenrollen. Merch wird so zur Folie von Freundschaft—und zum prekären Balanceakt, der zugleich gelingt: Dinge zu bewerben, ohne sich selbst zu bewerben. Vielleicht gelingt das, weil alle Beteiligten dem gleichen Grundsatz folgen: Das Bild dient der Energie, nicht umgekehrt.


„Rentner Recap“: Zukunftsmaske, Gegenwartskommentar
Ähnlich frei ist der Umgang mit Rollen in jenem Format, das sie „Rentner Recap“ nennen: zwei junge Männer, mit so realistischem Make-up versehen, dass man für einen Sekundenbruchteil tatsächlich die Haltung alter Herren imitiert sieht—jenes minimale Nach-vorn-Übergewicht, mit dem die Jahre den Rücken zurechtrücken. Die beiden lästern in dieser Verkleidung liebevoll über die Nacht, die Sets, die Crowd, über Dinge, die sie wenige Stunden zuvor selbst entfacht haben. Es ist weder Satire noch Slapstick, sondern ein Kommentar aus einer erfundenen Zukunft, der die Gegenwart leichter macht. Für die Kamera ist das eine Schule der Nuancen: Die Bilder müssen die Maske zeigen und doch die Augen darunter frei lassen. Das gelingt, weil die Linse nicht zuerst „Content“ sucht, sondern Rhythmus; weil sie mit denselben Atempausen arbeitet, in denen sich ein Drop ankündigt.


Pfandidos heute: Vom Insiderkreis zur Handschrift der Nächte
Die Pfandidos sind inzwischen mehr als ein Kreis von Freunden. Sie sind Rhythmusgeber und Veranstalter, der Taktstock liegt irgendwo zwischen einem Telegram-Chat und einer mit Aufklebern überzogenen Flightcase. Clubnächte haben Einzug gehalten, Residents sind keine Fußnote mehr, sondern Familienstand. Auch hier ist die Kamera präsent—nicht als Inventar, sondern als Gast, der mit anpackt. Sie dokumentiert, ja, aber vor allem baut sie ein Geflecht aus Motiven, das den Pfandidos eine visuelle Handschrift gibt: Wiedererkennbare Lichter, Räume, Farben. Der Effekt ist subtil und doch wirksam: Wer die Bilder sieht, weiß, wo er ist. Und wer noch nie dort war, versteht, was ihn erwartet. Reichweite ist ein kaltes Wort. Hier entsteht eher ein Echo, das weiter trägt, weil es warm ist.
Marken, ohne Reklame zu sein: Sierra & die Kunst des Nebenbei
Wenn Marken anklopfen, zeigt sich, wie robust dieser ästhetische Kern ist. Sierra Tequila, zum Beispiel, taucht in Clips auf, die keine Anzeige sein wollen und gerade deshalb funktionieren. Getränke werden zum Requisit, nicht zum Protagonisten; die beiden bleiben bei sich. Die Kamera nimmt das Branding mit, aber führt es nicht spazieren. Es ist die gleichen Choreografie wie auf dem Dancefloor: Man lässt etwas passieren, ohne es vorzuführen. Vieles von dem, was hier so mühelos aussieht, ist das Resultat von Gesprächen, verworfenen Ideen, dem Respekt vor der eigenen Community. Man merkt es an den Übergängen, an der souveränen Entscheidung, wann eine Einstellung genügt und wann ein Schnitt die Pointe rettet.














1. Mai 2025 im Tiergarten, im Späti, beim Radiosender FLUX FM
Und dann war da dieser 1. Mai 2025. Tiergarten, die Bäume schon voll im Blatt, die Luft vibrierend vor Erwartung. Es ist die Art Tag, an dem die Stadt sich selbst zitiert, ihre politischen Rituale mit spontanen Choreografien überblendet. Der Flashmob—anonym und doch unverkennbar—funktionierte wie ein geheimes Handschütteln: Die Musik kam nicht aus dem Nichts, aber sie tat so; der Kreis schloss sich und öffnete sich wieder, wie Lungen. Man kann solche Momente nur festhalten, wenn man sie nicht stört. Also bleibt die Kamera eine Armlänge entfernt, findet die Gesichter, die Hände, die Schritte, die kurz nicht wissen, wohin, und genau darum alles richtig machen. Später schreiten dieselben Bilder durch Feeds und Geschichten, nicht als Trophäe, sondern als Einladung.
Das visuelle Tagebuch: Kurzformate mit langem Atem
In der Rückschau wirkt es fast unvermeidlich, dass Kling und Klang über Live-Momente hinaus eine Bildwelt brauchen würden, die mitwächst. Nicht als Kampagne, sondern als Tagebuch. Die kurze Form—ein Reel, ein Clip, eine Story—ist dem Duo von Natur aus nah: Ihre Musik liebt Verdichtung, ihre Auftritte leben vom Timing; der berühmte „Drop“ ist ja nichts anderes als ein präziser Schnitt im Raum. Dass sich daraus über die Jahre ein in sich schlüssiger Auftritt in der Öffentlichkeit ergeben hat, verdankt sich einer stillen Logik: Wer oft genug respektvoll beobachtet, färbt irgendwann. Nicht kontrollierend, eher wie eine zweite Belichtung, die das Motiv schärft.
Arbeit hinter den Bildern: Verabredung auf Augenhöhe
Die Geschichten, die daraus entstehen, haben immer auch mit Arbeit zu tun – Kabel, Cases, Freigaben, schlaflose Nächte. Aber im Vordergrund steht eine Verabredung auf Augenhöhe: Man hilft einander, eine Form für etwas zu finden, das sonst im Lärm verschwände. Das Duo bringt die Musik, die Hände in die Luft, die Spontaneität. Das Gegenüber bringt einen Blick, der hält, was andere verflüchtigen. Zwischen beidem entsteht jener Raum, in dem das Authentische nicht behauptet werden muss. Wer die Clips kennt, merkt, dass sich die beiden nicht verstellen. Sie spielen mit ihrer eigenen Persona, wie sie es im „Rentner Recap“ tun; sie wenden die Kamera nicht ab, wenn es schief geht, sondern drehen die Panne eine Vierteldrehung zu einem Witz. Dass daraus Reichweite entsteht, ist Nebenwirkung und Ziel zugleich—und vielleicht die ehrlichste Form von Öffentlichkeitsarbeit, die diese Szene kennt.

Wiedererkennbarkeit in Projekten: F90 als exemplarische Choreografie
Die Abende der Pfandidos, die Kooperationen, die Merch-Projekte: Sie alle bekommen eine Widererkennbarkeit, die nicht dem Zufall überlassen ist. Das F90-Kapitel ist dafür exemplarisch. Eine Trikot-Ästhetik, die den Sport in den Club übersetzt; Schnitte, die so präzise sind, als wären sie an Snare-Schlägen ausgerichtet. Und doch lassen die Videos das Einmalige des Moments unangetastet: die zufällige Geste, der Blick zur Seite, das viel zu laute Lachen, das später zum Meme wird. Dieser Spagat gelingt, weil die Beteiligten Freunde sind. Es gibt die Abmachung, einander gut aussehen zu lassen, ohne das Chaos zu bügeln, aus dem alles seine Energie bezieht.
Doppelspiegel am Pult: Leo & TJ und der Blick, der trägt
Kling und Klang selbst wirken in solchen Bildern oft wie Doppelspiegel. Leo setzt einen Akzent, TJ fängt ihn auf, dreht ihn, wirft ihn zurück. Manchmal singen sie beide in eine unsichtbare Zeile, manchmal teilen sie die Bühne in Sekundenhälften, die nahtlos wirken. Der Ton dieser Symbiose überträgt sich auf die kleinen Filme, die sie begleiten: Kein Lehrstück, kein Handbuch, sondern ein Blick, der vertraut, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer selber hören und fühlen. Der Algorithmus lernt sie dennoch, oder gerade deswegen lieben; und so wachsen nicht nur Streams und Follows, sondern jene unsichtbare Linie, die Neugier in Zugehörigkeit verwandelt.
Das Wochenende als Gemeinschaftstheater
Wer sie heute an einem beliebigen Wochenende sieht—im Club, im Offspace, auf einem Festival—, erlebt weniger ein Set als ein kleines Theater der Gemeinschaft. Dort, wo früher ihre Freundesgruppe stand, crowd-surfed jetzt manchmal die Idee, dass eine Szene sich selbst zusammen filmt, ohne deswegen in Narzissmus zu enden. Die Kamera gehört dazu wie ein gutes Monitor-Signal. Sie ist nicht die Heldin des Abends, aber diejenige, die am nächsten Morgen noch weiß, was war, und die das Wissen so teilt, dass daraus Lust auf mehr entsteht.
Freundschaft statt Logos: Eine Praxis des Vertrauens
Vielleicht ist das die eigentliche Pointe dieser Geschichte: Eine Partnerschaft, die nicht mit Logos beginnt, sondern mit gemeinsam verbrachten Nächten. Eine Bildpraxis, die nicht behauptet, etwas erfunden zu haben, sondern die Sorgfalt aufbringt, das Vorhandene in seiner besten Version zu zeigen. Manchmal in schnellen Schnitten, manchmal in einem ruhigen Schwenk, der zwei Menschen einfängt, die am Geländer lehnen und denselben Witz noch einmal erzählen, jetzt langsamer, damit er bleibt. In solchen Momenten schließt sich der Kreis zwischen Musik und Bild. Und wer den beiden dann zuhört, hört auch das leise Klicken der Kamera, die nicht da ist, um zu messen, sondern um zu erinnern.
Schlussakkord: Eine Geschichte, die auch nachhallt, wenn es still wird
Am Ende geht man mit dem Eindruck, dass das, was hier entstanden ist, womöglich selten, aber nicht zufällig ist: ein Vertrauen, das Professionalität nicht ausschließt, sondern gründet. Eine Freundschaft, die aus Nächten besteht und aus Arbeitstagen, aus Hitze und aus Export-Dateien. Und ein Duo, das längst mehr ist als die Summe seiner Tracks, weil es eine Geschichte besitzt, die sich erzählen lässt—auch dann, wenn die Musik längst verklungen ist. In den Bildern bleibt sie hörbar. In den Gesichtern derer, die dabei waren, bleibt sie sichtbar. Und irgendwo im Norden der Stadt lehnen zwei junge Männer an einem Geländer und entscheiden, welcher Moment als nächstes festgehalten werden soll.